Junge Sterne leuchten heller, wenn sie besonders stark wachsen. Das wird als Strahlungsausbruch bezeichnet. Forschende an der Thüringer Landessternwarte konnten den energiereichsten Strahlungsausbruch bei einem massereichen jungen Stern nachweisen, der je beobachtet wurde. Zudem modellierten sie erstmals, wie sich die Wärmestrahlung des Staubs in der Umgebung des jungen Sterns ändert, wenn so ein Wachstumsschub stattfindet. Dies ermöglicht, solche Wachstumsschübe von jungen Sternen besser zu analysieren.
Forschende an der Thüringer Landessternwarte Tautenburg (TLS) konnten den vermutlich stärksten bisher bekannten Wachstumsschub bei einem massereichen jungen Stern nachweisen. Sterne entstehen in dichten Gas- und Staubwolken. Junge Sterne, sogenannte Protosterne, wachsen, indem Materie aus ihrer Umgebung auf sie fällt. Das Wachstum ist jedoch nicht gleichmäßig. Es gibt Phasen, in denen Protosterne besonders stark an Masse zulegen.
Solche Wachstumsschübe bei jungen Sternen werden Akkretions- oder Strahlungsausbrüche genannt. Findet so ein Strahlungsausbruch statt, wollen Astronomen wissen, wie lange er dauert und wie viel Energie dabei freigesetzt wird.
Im Jahr 2019 entdeckten Radioastronomen einen plötzlichen Anstieg der Methanol-Maser-Emission, einer bestimmten Art von Mikrowellenstrahlung, in der Sternentstehungsregion G323.46-0.08 (kurz: G323). Diese befindet sich im Sternbild Circinus (Zirkel), das am Südsternhimmel sichtbar ist. Sie vermuteten, dass ein junger massereicher Stern in dieser Region einen Wachstumsschub durchläuft. Als massereiche gelten Sterne, wenn sie mehr als acht Sonnenmassen haben.
Dr. Verena Wolf und Dr. Bringfried Stecklum, Wissenschaftler an der Thüringer Landessternwarte, erforschen, wie Sterne entstehen. Gemeinsam mit einem internationalen Team von Astronomen machten sie sich auf die Suche nach der Ursache für diese erhöhte Mikrowellenstrahlung. War ein Wachstumsschub tatsächlich der Grund?
Sie suchten nach Aufnahmen von G323 und wurden im Archiv des VISTA-Teleskops (Visible and Infrared Survey Telescope for Astronomy) der Europäischen Südsternwarte (ESO) fündig. VISTA kartierte die Milchstraße am Südhimmel im nahen infraroten Wellenlängenbereich.
Infrarot-Aufnahmen bestätigen den Wachstumsschub
Die Sternentstehungsregion G323 aufgenommen mit dem VISTA-Teleskop der Europäischen Südsternwarte im nahen infraroten Wellenlängenbereich. Das rechte Bild aus dem Jahr 2015 zeigt, dass die Region viel heller leuchtet als im Jahr 2010. (Im cyan-farbenen Bereich in der Bildmitte war das Objekt zu hell für den Detektor.) Abbildung: TLS / Wolf et al. 2024 „Wir konnten den Akkretionsausbruch mit den VISTA-Bildern zweifelsfrei bestätigen“, sagt Bringfried Stecklum. Zahlreiche Aufnahmen der Sternentstehungsregion G323 zu verschiedenen Zeitpunkten ermöglichten es, die Änderung der Helligkeit während des Ereignisses zu messen. Der Ausbruch dauerte rund acht Jahre – von 2012 bis 2020. Es war erst der sechste Ausbruch, der bei massereichen jungen Sternen nachgewiesen wurde.
Doch nicht nur das: Wolf, Stecklum und ihrem Team gelang es, den Verlauf des Strahlungsausbruchs zu modellieren. Für das Computermodell verwendeten sie eine spezielle Software, die von ihrem Teamkollegen Professor Dr. Tim Harries an der University of Exeter, UK, entwickelt worden war.
Sie simulierten damit die Temperaturveränderung des Staubs zu verschiedenen Zeiten während des Wachstumsschubs und danach. Zudem berechneten sie, wie sich diese Temperaturveränderung auf die Wärmestrahlung des Staubes auswirkt. Die Simulation sagte vorher, dass das Nachglühen des Ausbruch im fernen infraroten Wellenlängenbereich im Jahr 2022 noch messbar sein könnte, obwohl der Ausbruch bereits im Jahr 2020 endete. Das eröffnete die Möglichkeit, mit Messungen im fernen infraroten Wellenlängenbereich die Energie des Ausbruchs einzugrenzen.
Aufnahmen mit dem SOFIA-Teleskop bestätigen das Modell
SOFIA Flugzeug und Teleskop, Bild: NASA / Jim RossUm Aufnahmen von G323 im fernen infraroten Wellenlängenbereich zu erhalten, beantragte das Forscherteam Beobachtungszeit mit dem Flugzeugobservatorium SOFIA (Stratospheric Observatory For Infrared Astronomy). SOFIA wurde bis Dezember 2022 von der US-Raumfahrtbehörde NASA und dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) betrieben. Die Beobachtungen mit dem SOFIA-Teleskop zeigten eine leichte Erhöhung der Helligkeit im fernen infraroten Wellenlängenbereich und bestätigten die Simulation.
Genauere Abschätzung der eingefallenen Masse
Mit der Kombination aus den VISTA-Daten und den SOFIA-Daten gelang Wolf, Stecklum und dem Team ein Durchbruch: „Das hat uns ermöglicht, die beim Wachstumsschub freigesetzte Energie zuverlässig zu ermitteln und daraus die eingefallene Masse abzuschätzen“, erläutert Wolf.
Sie fanden heraus, dass der Akkretionsausbruch von G323 der wohl stärkste Ausbruch ist, der bislang bei einem massereichen jungen Stern beobachtet wurde. In nur acht Jahren wurde so viel Energie freigesetzt, wie die Sonne in 740.000 Jahren abstrahlt. „Vermutlich ist ein riesiger Klumpen mit etwa der siebenfachen Jupitermasse auf den Stern gefallen“, erklärt Wolf den starken Strahlungsausbruch.
Mit den Beobachtungsdaten in den verschiedenen Wellenlängenbereichen und der Computersimulation konnte das Forscherteam zum ersten Mal das Wechselspiel zwischen der Staubverteilung um den jungen Stern und der Stärke des Strahlungsausbruchs genau untersuchen.
Mit solchen zeitabhängigen Simulationen können nicht nur Protosterne sondern auch andere veränderliche Objekte, bei denen Staub eine wichtige Rolle spielt, besser beschrieben werden. Dazu gehören zum Beispiel aktive Galaxienkerne und pulsierende Sterne.
Das Team um Verena Wolf und Bringfried Stecklum hat die Ergebnisse seiner Forschung in dem wissenschaftlichen Artikel „The accretion burst of the massive young stellar object G323.46−0.08“ in der Zeitschrift „Astronomy & Astrophysics“ veröffentlicht. (Link zum Artikel: www.aanda.org/10.1051/0004-6361/202449891) Das Projekt zur Analyse von SOFIA-Daten von Akkretionsbursts, in dem Verena Wolf beschäftigt ist, wird durch das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt e.V. (DLR) gefördert (Förderkennzeichen 50OR1718).
Das Forscherteam
Zum Forschungsteam gehören:
Bringfried Stecklum, Verena Wolf, Jochen Eislöffel (Thüringer Landessternwarte Tautenburg, Deutschland),
Paul Boley, Pierre Cruzalebes, Alexis Matter (Université Côte d'Azur, Observatoire de la Côte d'Azur, Nizza, Frankreich),
Alessio Caratti o Garatti (INAF, Osservatorio Astronomico di Capodimonte, Italien),
Christian Fischer (Deutsches SOFIA Institut, Universität Stuttgart),
Tim J. Harries (Department of Physics and Astronomy, University of Exeter, UK),
Hendrik Linz (Max-Planck-Institut für Astronomie, Heidelberg, Deutschland),
Aida Ahmadi (ASTRON, Niederländisches Institut für Radioastronomie, Dwingeloo, Niederlande),
Julia Kobus (Institut für Theoretische Physik und Astrophysik, Universität Kiel, Deutschland),
Xavier Haubois (European Organisation for Astronomical Research in the Southern Hemisphere, Santiago, Chile)
Hintergrund: Wie entstehen Sterne?
Sterne entstehen in den Zentralregionen von dichten Gas- und Molekülwolken, die unter ihrer eigenen Schwerkraft in sich zusammenstürzen. Schon eine sehr kleine initiale Drehung der Gas- und Molekülwolken führt zu einer Abflachung. Es entsteht eine protoplanetare Gas- und Staubscheibe. Sie reguliert den Materiestrom auf den jungen Stern und ist die Geburtsstätte potenzieller späterer Planeten.
Das Material fällt zunächst aus der Staubhülle, in welcher der Protostern und die Scheibe anfänglich eingebettet sind, auf die Scheibe. Reibung bremst die Materie ab, sie wandert in Richtung des jungen Sterns. Das Resultat ist ein ungleichmäßiger Materiestrom von der Scheibe auf den Protostern.
Wenn in einem kurzen Zeitraum besonders viel Masse auf den jungen Stern fällt, dann erlebt dieser einen Akkretionsausbruch. Die beim Einfall der Materie frei werdende potenzielle Energie führt zu einer besonders starken Aufheizung. Deren Stärke und Dauer hängen von der Masse und Kompaktheit des einfallenden Objektes ab.
Schwächere Ausbrüche treten häufig auf. Starke Ausbrüche, wie der bei G323 beobachtete, sind selten. Dennoch spielen sie eine wichtige Rolle. Ein junger Stern erhält schätzungsweise die Hälfte seiner finalen Masse in stärkeren Strahlungsausbrüchen.
Solche Akkretionsausbrüche verraten besonders viel darüber, wie junge Sterne entstehen. Das gilt insbesondere für massereiche Sterne. Bei der Beobachtung von Akkretionsausbrüchen wollen die Wissenschaftler unter anderem diese Fragen beantworten: Wie stark verändert sich die Leuchtkraft während des Ausbruchs? Wie lange dauert der Ausbruch? Wie viel Energie wird freigesetzt? Wie viel Masse ist auf den Protostern gefallen? Zudem wollen sie verstehen, wie die protoplanetare Scheibe aufgebaut ist, und wie sie Masse verliert.
Bei massearmen Sternen wurden seit 1939 mehrere hundert Ausbrüche beobachtet. Bei massereichen Sternen (Sternen schwerer als acht Sonnenmassen) sind bis heute nur sechs Ausbrüche bekannt. Das liegt daran, dass massereiche Sterne viel seltener sind, sich schneller entwickeln und in dichteren Gebieten vorkommen als ihre massearmen Gegenstücke.
Über die Thüringer Landessternwarte
Die Thüringer Landessternwarte Tautenburg (TLS) ist eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung des Freistaats Thüringen. Sie betreibt Grundlagenforschung in Astrophysik. Die Forschenden der TLS nutzen verschiedene Teleskope in der ganzen Welt für ihre Beobachtungen von Galaxien, Sternen, der Sonne, Gammastrahlenausbrüchen und extrasolaren Planeten.
Die Thüringer Landessternwarte betreibt und nutzt das 2-Meter-Alfred-Jensch-Teleskop für Beobachtungen im optischen Spektralbereich und eine Station des European Low Frequency Array (LOFAR) Radioteleskops. Außerdem baut sie ein Sonnenlabor auf, um einen Prototyp eines automatisierten Teleskops für die kontinuierliche Beobachtung der Sonne zu entwickeln.
Kontakt:
Wir beantworten gerne weitere Fragen:
Dr. Verena Wolf
Telefon: +49 36427 863 754
Dr. Bringfried Stecklum
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News des Deutschen SOFIA-Instituts